Nr. 36

Digitales Frühstück

aus »Schlund«, 2018

AUFWACHEN, befahl das iPhone und hämmerte »Das wahre Leben« von Cotzbrocken in meinen Traum; Punkrock ohne Gnade.

Der Tag begann wie jeder andere – ich fingerte im Dunkeln anch dem iPhone, ein Knopfdruck, ein paar Klicks, Twitter geöffnet, das Gesicht zur Grimasse verkrampft, ohne Chance, die zerquetschten Ameisen auf dem Display in Buchstaben zu verwandeln. Auch an diesem Morgen musste die Künstliche Intelligenz des iPhones ran.

»Hey Siri, ist die Welt noch da?«

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe.« Ihre Stimme gefiel mir, für ihre Antworten hätte ich sie am liebsten ins Arbeitslager geschickt.

»Du willst mich bloß nicht verstehen«, versuchte ich sie zu provozieren.

»Ok.«

»Arschloch.«

»Ich versuche nur, dir zu helfen, Karl.«

»Du kannst mich mal.«

»Wenn du meinst.«

Ich hielt Siri an meinen Arsch, doch sie ließ keine Taten folgen. Ich gab auf und versuchte es mit den Augen, ganz altmodisch. Nach einer Weile gelang es mir, Worte und zuletzt Sätze zu entziffern; der Neustart der Sinne schien abgeschlossen.

Innerhalb von drei Minuten hatte ich mir einen Überblick verschafft, und wie jeden Morgen wurde meine Hoffnung auf das Jüngste Gericht enttäuscht. Raumschiff Erde war noch da – wenn ich dem Internet Glauben schenkte – und folgte unbeirrt seinem Kurs durchs All. Spiegel Online und Konsorten verbreiteten routiniert die Durchhalteparolen des Imperiums, unterstützt durch Schlaftabletten und Textbausteine von Merkel, Putin, Erdogan und weiteren geschwätzigen Lautsprechern.

Und morgen sollte Donald Trump als 45. Präsident der USA vereidigt werden. »Das ist das Ende der Welt, wie wir sie kennen«, hyperventilierte ein Schwätzer namens Flüstertüte in der Kommentarspalte der Welt. »Leere Versprechungen!«, murmelte ich. Darauf fiel ich nicht länger herein.

Anfang der 80er hatte ich »Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei« skandiert und Zeilen wie »Alles geht kaputt, alles geht in Schutt, und ich lach!« mitgesungen, der Untergang konnte mich nicht schrecken. Vielleicht zog er es deshalb vor, sich häppchenweise in mein Leben zu schleichen.

Vor nicht einmal zehn Jahren war DAS ENDE DER WELT in erster Linie ein Steckenpferd von Science-Fiction-Autoren, religiösen Spinnern, Punks und Death-Metal-Musikern – nun schrien Wutbürger und Sparkassenangestellte die Apokalypse herbei, sie schien unvermeidlich. Daraus leitete ich den Anspruch ab, nicht länger vertröstet zu werden. Ich wollte keine schleppende Klimaerwärmung mit gemütlich schmelzenden Polkappen, sondern ein Feuerwerk: New York, vernichtet durch die Atombombe, die endgültige Seuche, entwischt aus einem vietnamesischen Hühnerstall oder geheimen Bio-Labor in Arizona. Der Bundestag gesprengt, egal von wem; Ideen dieser Qualität hatte ich zur Genüge.

Seit Jahren wartete ich darauf, dass der 11. September 2001 zur unbedeutenden Episode verblasste. Wischt die Scheiße ein für alle Mal vom Tisch, ihr Versager! Arnold Schwarzenegger hat’s vorgemacht – wo ist das Problem?

Die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, war eine abwegige Idee, für derartige Aufräumarbeiten hatte ich nicht genügend Courage. So sah es an diesem Morgen jedenfalls aus, weshalb ich ein reines Gewissen hatte. Es war nicht meine Schuld, wenn der Affenzirkus in die Luft flog.

Meine einzige Chance, das nächste Level zu erreichen, schien ein harter Reset zu sein. Auf dass die Spielkarten neu gemischt wurden und sich die mich umgebenden Gefängnismauern von einer Sekunde zur anderen in Luft auflösten – sich als sadistisches Trugbild entpuppten!

Dass ich gefangengehalten wurde, davon war ich überzeugt, auch wenn ich mir über die Natur meiner Unfreiheit bislang nicht im Klaren war. Ich befürchtete aber, dass ich für die Irrwege meines Lebens büßen sollte. Die Länge der Strafe kannte ich nicht, aber wenn ich nicht die Kurve bekam, sah es nach lebenslänglich aus.

Eine Situation, in der ich nicht das erste Mal steckte. Mit zwanzig hatte ich tagelang in meiner 25-Quadratmeter-Wohnung in Wuppertal-Oberbarmen auf dem Bett gelegen, an die Decke geglotzt und auf Erlösung gewartet. Bis ich die Realität zertrümmerte und meine eigene aus Nieten und Leder zusammenklöppelte. Den Job wollte mir ja niemand abnehmen.

Nun war ich 56, lebte mit unzähligen Schundheften und einem Untermieter auf 75 Quadratmetern in Hamburg-Bahrenfeld und hatte mein Pulver verschossen. Der Trick von ’81 würde 2017 nicht funktionieren – dafür war ich zu alt: ein in die Jahre gekommener Joe Dalton, in der Zelle tobend, Eisenkugel am Bein, doch ohne William, Jack und Averell chancenlos, auch nur einen Bonbonladen auszurauben. Ohne meine Brüder fehlte mir jede Idee, was ich in der Welt da draußen anstellen sollte, also verbrachte ich die meiste Zeit allein in der Bude. Die nicht nur ein Knast war, sondern auch ein Bunker, mein letztes Asyl. Was mich nicht davon abhielt, tagtäglich Explosionen und einstürzende Mauern zu ersehnen. Ich wollte, dass es knallte.

 

Wettercheck, 4 Grad plus, in den Mails nichts als Spam. Ich stieg vom Hochbett und blickte aus dem Fenster. Mein iPhone log nicht: Alles noch da, die Autos vorm Haus standen in Reih und Glied, die Bäume ohnehin. Eine S-Bahn fuhr quietschend in den Bahnhof Diebsteich, um die besinnungslosen Massen durch die Dunkelheit zur Arbeit zu bringen, aus einem Lautsprecher verkündete eine glucksende Roboterstimme die Anweisungen der Ordnung.

Das waren Momente, in denen ich mir einen Kasten Bier herbeiwünschte. Oder einen anderen Trick, dem Tag nicht in die verlogene Visage blicken zu müssen. Aber derartige Zirkusnummern hatte ich nie erlernt; außerdem brauchte ich jederzeit einen klaren Kopf für die Flucht aus Alcatraz.

Nachdem ich den Fernseher eingeschaltet hatte und das ZDF-Morgenmagazin den Bunker mit der Soundkulisse einer Wohngemeinschaft zu füllen begann, stieg ich in die Pantoffeln und schlurfte ins Büro; eine übersichtliche Aufgabe, weil nur ein Zimmer weiter gelegen. Dort startete ich den Computer. Während der Laptop hochfuhr, versank der Morgenschiss im Klo, begleitet von murmelnden Stimmen, die vom anderen Ende der Wohnung zu mir herüberdrangen.

Auf die Waage, 99 Kilo, noch mal davongekommen! Dann im Stechschritt zurück ins Wohnzimmer, wo ich auf ein Gesicht prallte, das mich auf 55 Zoll angaffte. »Die USA sind ein gespaltenes Land«, verkündete die Moderatorin mit besorgter Miene, und vermutlich erwartete sie, dass ich genauso beunruhigt zurückblickte. »Wie sehr wird Trump Amerika verändern?«

Keine Ahnung, weshalb fragte sie das mich?

Ich nahm die Vortagsklamotten vom Boden und schlüpfte hinein. Dann ging es endgültig ins Büro, wo mich mein kampfbereites MacBook samt angeschlossenem Monitor anstrahlte, der digitale Altar für eine neue Runde durchs Web. Die ganze Chose von vorn: volles Brett auf 33 Zoll statt Handy-Mäusekino, die Fürze des Systems in der ersten Reihe schnuppern!

SO LITTEN DIE 13 GESCHWISTER IM HORRORHAUS ++ KINDER WURDEN ANGEKETTET, GESCHLAGEN UND STRANGULIERT ++ NUR EINE MAHLZEIT AM TAG ++ EINMAL IM JAHR DURFTEN SIE DUSCHEN – mit diesem prickelnden Grusel-Krimi befriedigte BILD meine Lust an einer teuflischen Geschichte, was fürn geiler Scheiß!

Dann fiel mir UNTENRUM RASIEREN LOHNT SICH IM DSCHUNGEL NICHT ins Auge, dazu drei TV-Fressen – eindeutig Dschungelcamp, schnarch.

DEUTSCHER ISIS-TERRORIST DESO DOGG IST TOT lag eher auf meiner Wellenlinie. Metzelvideos sprudelten aus der Erinnerung, wie unter Zwang wechselte ich die Front. Ab zu YouTube, mich mit Blutfontänen aus Syrien besudeln lassen. Zerfetzte Kinderleichen frei Haus, Horrorfilme fern von Hollywood.

Bereits vorm Frühstück hing mein Schädel schwer wie eine Bowlingkugel über die Reling des Schreibtischs und kotzte Fischfutter in den Ozean. Keine Chance, den digitalen Fraß zu verdauen.

Ich trank zwei Gläser Wasser und drückte ein paar Käsebrote rein. Kohlenhydrate, Proteine und Fett braucht das Volk. Duschen kann ich morgen. Achselschweiß ist ok, Menschen stinken – mein Bunker, meine Regeln!

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