Nr. 46

Schlumpfhausen ist überall

aus »Schlund«, 2018

Ich hatte mich in der Wüste Gobi verlaufen und konnte es beweisen – durch eine winzige sprachliche Änderung. So wie früher in den Fix-und-Foxi-Heften, wo die Schlümpfe ihren ersten Auftritt in Deutschland hatten.

Ich hatte immer zwischen allen Schlumpf-Welten gestanden. Nie konnte ich mich entscheiden, ob ich mich wie ein 77er-Schlumpf radikalster Individualität verschreiben sollte – oder lieber als Straßenschlumpf mit der besoffenen Schlumpfmeute durch die Stadt ziehen und die Welt in Angst und Schrecken versetzen.

Nun grummelte ich als Miesepeterschlumpf in meiner Bude vor mich hin und war weder Alt- noch Jungschlumpf, vielleicht noch nicht mal Ex-Schlumpf. Mein letzter Rest Schlumpf waren ein paar Brocken Schlumpfscheiße am Sack. Ich gehörte nicht mehr zu den Schlümpfen, ach, eigentlich war ich nie ein echter Schlumpf, sondern nur ein Schlumpf.

Das war auch anderen bereits aufgefallen.

»Wie hast du es so lange in der Schlumpf-Szene ausgehalten?«, hörte ich dann. Ohne Suff, Drogen und andere Varianten der Hirnamputation. Gute Frage, nächste Frage!

Vor einiger Zeit schrieb jemand in einem Facebook-Kommentar: »Der Nagel hat mit Schlumpf nichts zu schaffen. Der will nur provozieren.« Wenn das stimmte, sollte ich wieder meine alte Schlumpfjacke anziehen, als weitere Demonstration des Aberwitzes. Auf 22 machen, obwohl ich 56 war. In einer Schlumpfkneipe oder auf einem Schlumpfkonzert. Dann würde ich schreien: »Was Schlumpf ist, bestimme ich!« Und was wäre dann passiert?

So weit, so Schlumpf, ein Sturm im Wasserglas. Mich auf Punk zu berufen, das erschien mir lächerlich. Zumal ich längst bewiesen hatte, dass alle Punk-Schwüre Geschwätz waren und ich höchstens zur Witzfigur taugte. Zum Schlumpf.

Ich wäre mir wie ein Karnevalsdepp vorgekommen, hätte ich noch mal die alte Punk-Kluft übergezogen. Andererseits – das ließ sich als Steinbruch für eine bizarre Geschichte verwenden! Ich musste die frischen Gedanken Fleisch werden lassen, bevor sie wegrieselten, also kloppte ich sie fix in die Tasten: »Ich zog die alte, schwere Nietenjacke über und merkte gleich, dass sie nicht mehr passte. Der Reißverschluss ging nicht zu, mein Bauch, na ja, fast 30 Kilo mehr als damals. Ich betrachtete mich im Spiegel und lachte, dann marschierte ich auf die Straße und prüfte aus den Augenwinkeln, ob mich jemand wegen meiner Verkleidung scheel ansah. Es war Sommer, und mit Lederjacke …«

PLING!

»He, Alter, was geht?«, quoll es aus dem Facebook-Chat. Oje. Irgendeine Pappnase, ein »Freund«, der sich bei hier »Herbert Hass« nannte. Machte auf vertraulich, obwohl wir uns nie über den Weg gelaufen waren. Wenn ich schon die Fresse halten sollte – warum konnte die Welt nicht mit leuchtendem Beispiel vorangehen? Oder wenigstens so lange, bis ich besser drauf war?

Stattdessen spuckte der Chat den nächsten Satz aus.

»Bin echt dein größter Fan!«

Ich tippte »Fans sind Sklaven«. Ein klares Statement.

»Geiler Joke! Wie in alten Zeiten!«, meldete sich Herbert wieder zu Wort.

Ich schloss die Augen und sah ihn vor mir, klar und deutlich: mit Basecap, in einem oft gewaschenen Shirt der Heiligen Scheine.

»Du warst immer mein Vorbild«, sagt der Fan und blickt verlegen zu Boden. »Du hast mein Leben verändert!«

Er sucht nach Worten. Dann findet er welche.

»Niemals aufgeben, nie vergessen … Wir sind wir, weil wir wir sind, und weil wir wir sind, sind wir wer!«. Das Fußballgejohle, mit dem er das absingt, klingt grenzdebil. »Nie vergessen!«, wiederholt er.

»Mach mal halblang«, sage ich. »Mein Gedächtnis ist gut.« Wie könnte ich einen derartigen Ohrwurm vergessen? Hab den Song doch selbst geschrieben. Den größten Hit der Heiligen Scheine.

»Du bist immer wieder aufgestanden, wenn das Leben dich umgehauen hat. Fucking MooOO-PED! – du wirst auch diesmal der Welt zeigen, dass sie dich kreuzweise kann! So wie Kevin von den Böhsen Onkelz.« Er macht auf Klitschko und ballt seine Pranken zu Fäusten.

»HALLELUHJA!«, schreie ich und recke beide Arme. »Ich bin Jesus Christus! Ich werde wiederauferstehen!«

Mein Gegenüber greift sich an den Kopf. Der Typ ist unsicher, ob ich ihn verarsche oder er das unfassbare Glück hat, Zeuge eines oberwitzigen Auftritts seines Idols zu sein. Oder denkt »Heilige Scheiße! Den Nagel hat’s erwischt!«

Auf keinen Fall weiß er, dass ich weiß, dass das hier alles nur Kopfkino ist. Der Fan als mein eigener Geistesfurz durch die Gegend läuft. Ganz normal bei mir – durch meine Birne rattern mehr Tweets als in jeder Timeline, ohne Gesprächspartner gehe ich nicht ins Bett. Tags zuvor habe ich mit Elvis gesprochen, vor 40 Jahren mit Perry Rhodan.

Ich lege der Puddingbirne meinen Arm um die Schultern.

»Nimm’s nicht so schwer, Herbie – du mein größter Fan!«, tröste ich ihn. »Wir haben einiges gemeinsam. Wir fressen, scheißen und pissen. Und wenn der Hammer fällt, gehen die Lichter aus. Würdest du nicht gerne in der Altsteinzeit leben? Als Menschen noch mit Keulen aufeinander einschlugen, weil sie weder Internet noch Handy besaßen? UGA-UGA!«

»Weiß nicht, was du meinst«, kommt es zurück. »Kenne mich in Geschichte nicht so gut aus.«

»Na, wie viele What's-App-Nachrichten kriegst du so am Tag? Hast du außer Harry Potter schon mal ein Buch gelesen?«

»Nee«, antwortet Herbie. »Bin doch nicht bescheuert. In der Zeit kann ich ewig lang mit der Playstation daddeln. Oder Nudeln mit Ketchup futtern. Odern büschen figgen. Mösenschleim und Nillenkäs gibt die beste Majönäs. Hehe.«

Der Kerl ist wirklich ein Fan, sein ganzes Vokabular mit unseren Songs durchsetzt.

Ein letzter Versuch: »Schau dir Frankenstein mit Boris Karloff an! Dann checkst du vielleicht was!«

»Klar, mach ich!«

Wird er natürlich nicht tun, wenn er herausfindet, dass der Film über 80 Jahre alt ist. Kein Dolby Surround, kein CGI, kein 3D, nichts Animiertes, nur ödes Schwarzweiß.

Mann, und für Spackos wie Herbie will ich schreiben? Ihnen meinen Kronjuwelen auf den Tisch packen? Alles was ich habe? Meine Eier? Das ist wie ein Selbstmordkommando, kann man nur einmal machen. Dann ist die Ladung für alle Zeiten abgespritzt. Muss ich mir also gut überlegen!

»Fußball ist geil«, unterbricht Herbie meine Gedanken. Damit will er wohl Punkte bei mir machen. »Ich hab übrigens 'ne Dauerkarte bei St. Pauli.«

»Und was ist, wenn ich den HSV geiler finde? Oder Hansa Rostock? Bayern München ist auch super!«

Herbie will schon zu einem Redeschwall ansetzen, aber bevor er einen Pieps von sich geben kann, drücke ich ihm meine Hand auf den Mund. Nee, danke, brauche ich wirklich nicht. Über so einen Scheiß können sie hier in Hamburg stundenlang labern - eine Stadt, in der ich mich schlechter auskenne als in der Wüste Gobi. Obwohl ich hier lebe.

Ich schaue ihm tief in die Augen.»Ich hab's mir anders überlegt. Hast lange genug an meinen Eiern geschnuppert. Ende der Vorstellung. Mach dich vom Acker!«

Bevor er was sagen kann, schnippe ich mit den Fingern. »POFF!« Weg isser, der Schlumpf.

Ein schöner, unblutiger Mord. Neulich hat hier in Hamburg so ein Psycho jemanden vom Fahrrad geschossen. Die arme Sau ist tot. Ich jedoch blase nur denen das Lebenslicht aus, die ich vorher erschaffen habe.

DOWNLOADS ZUM BEITRAG
Gönnen Sie sich unbedingt weitere Veröffentlichungen unseres TOP-Autors KARL NAGEL! Es erwarten Sie wie gewohnt packende Unterhaltung, prickelnde Erotik und schockierende Enthüllungen! Lesen Sie DIE STEINWURFWEITE UNTERSCHREITEN - Nur einen Klick entfernt!
ACHTUNG!
Ihr Computer ist eingeschaltet!
Sie sind mit dem Internet verbunden!
Hier werden SESSIONS und COOKIES verwendet!
Die Inhalte dieser Website könnten Sie verunsichern!
MINDERJÄHRIGE könnten in ihrer Entwicklung gestört werden!

MACHT IHNEN DAS ANGST?

WOLLEN SIE DAS WIRKLICH?

DENKEN SIE GRÜNDLICH
DARÜBER NACH!